Als er meinte aufzuwachen, konnte er sich wage an die vergangene Nacht erinnern. An eine zigarettenrauchdurchschwängerte und alkoholfeuchte Party. Er wusste, er hatte viel getrunken, auch wenn der Whisky unterste Kanone war. "Die Flasche hat nur 6,79 Euro gekostet", gab ihm Maik zu verstehen. "Ja, das schmeckt man", lachte er zurück. "Und ich schätze morgen werde ich ein echtes Gefühl für jeden Cent entwickeln, der am Preis zu einem guten Whisky fehlt. Is' schon in Ordnung", und mit einem Augenzwinkern Ex-te er das dritte Glas Whiskycola. Der Titel Whisky kam für dieses Gesöff wirklich einer Erhebung in den Adelsstand gleich. Er quatschte ein bisschen durch die Gegend und alberte mit seinen Kumpels herum, als alle etwa zwei Stunden nach der Whiskypreisoffenbarung bereits deutlich angetrunken waren. Dies war eine der Partys, die irgendwie und aus einem unerfindlichen Grund ausnahmslos grandios waren. Der Alkohol floss in Massen und für die nötige Grundlage sorgten Kartoffelchips. Nicht wirklich eine Grundlage, aber niemand wollte ernsthaft eine Grundlage. Außerdem rauchte er wie ein Schlot, wobei er eine sehr ordentliche Figur dabei machte, sich durchzuschlauchen. Eigene Zigaretten hatte er zu Hause vergessen. Schon nach gut vier Stunden erlebte er einen gewaltigen Absturz inklusive Filmriss. Während dieser Filmrisszeit entstanden einige Aufnahmen in seinem Hirn, die trotz allem präsent waren. Irgendwann torkelte er nach draußen und ließ dabei sein Bierglas fallen. Es landete in einer wahren Massenversammlung zersplitterter Willi-Becher und war folglich in guter Gesellschaft. In der Tür stand ein Pärchen, dass sich gegenseitig angekotzt hatte und darüber äußerst amüsiert schien. Irgendwer bölkte: "Geile Party, Alter. Echt geile Party!" Mehr als ein "Häh?" brachte er aber nicht mehr heraus - außerdem war er gar nicht Veranstalter dieser Party; das war Maik. 6,79-Euro-Maik. Auf dem Hof lagen zwei Gestalten und schliefen ihren Rausch aus. Er stolperte über eine von ihnen und konnte sein Gleichgewicht gerade noch so halten, wie es nur ein sturzbetrunkener schafft, der eigentlich nicht einmal mehr in der Lage ist, geradeaus zu gucken. "Ey, könnta mich mitnehm'" lallte er Annika und Michael zu, die beide gerade im Begriff waren, die Party zu verlassen. Annika hatte beschlossen, dass beide genug hätten. Sie hatte die unkluge Entscheidung getroffen, heute den Fahrer zu mimen und Michael hatte noch gesagt, er wolle sich heute etwas zurück halten. Nachher im Bett vielleicht, beim saufen stand er jedenfalls wieder in der ersten Reihe dachte Annika noch beiläufig, als sie ihm den Blick zuwendete und sagte: "Jau, wenn du mir das Auto nicht vollkotzt. Wehe, dann knallt's!" "Keindingpassiertschonnichtkennstmichdoch", plapperte Michael dazwischen. Alle drei stiegen ins Auto und er schlief ein. Kurz bevor sie bei ihm zu Hause ankamen wachte er auf, wie ihm das immer passiert. Eine Art innerer Kompasswecker. Er tat möglichst nüchtern als er sich von Annika verabschiedete - Michael schlief ebenfalls -, sie grinste ihn mit einem "Tschüß und eine gute Nacht" an. Sein Talent, in wirklich jeder geistigen und körperlichen Verfassung das Türschloss zu bedienen verschaffte ihm Eintritt in seine Wohnung. Er bückte sich kurz auf dem schmalen Flur um seine Schuhe zu öffnen und lachte dabei, weil er nicht umfiel. Dann schoss er beide Schuhe in Richtung Küche "macht schon mal Frühstück" und ging in Richtung Schlafzimmer, während er seine Klamotten auszog, neben sich fallen lies und seine Blase im gehen entleerte. Er ließ sich auf sein Bett fallen und fiel in einen tiefen Schlaf. Nur kurz später wachte er auf und musste kotzen. Der unangenehme Geruch von erbrochenem Whiskykartoffelchipsbrei stieg ihm in die Nase, war erfreulicherweise aber nach einigen Minuten wieder völlig verschwunden. Überhaupt war die Nacht recht ruhig, gut, dass ich noch schnell auf den Flur gepisst habe, sonst müsste ich sicher noch raus auf Toilette. Irgendwann wachte er auf. Er wunderte sich, dass er sich fast wohl fühlte. Kein Kotzegeruch, nirgendwo die Spur eines markigen und zugleich faszinierenden Bierschisses, die Nase brannte nicht vom Zigarettenqualm und dem Endprodukt der Nebelmaschine, die Maik eigens für die Party geliehen hat. Eine Nebelmaschine für eine Garagensaufparty. Das muss man sich mal vorstellen. Auch die Finger rochen nicht übelkeiterregend nach paprikagewürzten Kartoffelchips. Alles in allem schien dies zur Überraschung aller ein vielversprechender Morgen zu werden. Darüber noch einigermaßen amüsiert - alles eine Sache des Trainings - drehte er sich um und stand auf. Dann blickte er auf seinen toten Körper hinab und sah, dass er in der Nacht an seinem eigenen Erbrochenem erstickt war. Wie klassisch, dachte er und um ihn wurde es dunkel und kalt. Wie klassisch.
iatbe - am Dienstag, 28. Juni 2005, 00:26 - Rubrik: In der Hitze der Nacht